Am Spieltag seines Trainer-Comebacks wachte Dieter Hecking um 4.00 Uhr morgens auf. Vor seiner ungeplanten Rückkehr an die Seitenlinie beim 1. FC Nürnberg schwirrte etwas in seinem Kopf herum, was er unbedingt noch niederschreiben musste. Später frühstückte er nach eigener Schilderung mit seinem Sohn, bereitete danach Kapitän Christopher Schindler & Co. in der Mannschaftssitzung auf das Krisenduell in der 2. Fußball-Bundesliga gegen den SV Sandhausen vor – und holte beim 1:0 dann gleich seinen Premierensieg als Interimscoach.
Nach seinem Comeback-Erfolg freute sich Hecking aber nur kurz und verschwand nach dem Schlusspfiff gleich in der Kabine. Den Erfolg habe er ja genossen, meinte der eigentliche Sportvorstand fast schon entschuldigend nach seinem schnellen Abgang in die Katakomben und ergänzte lakonisch: «Aber mir war kalt.» Soviel zur Chronologie.
Bei Schnee und Graupel spielte sich zwischen zwei der schwächsten Offensiven der Liga ein fast schon erwartbar schwacher Kellerkampf ab. «Mit dem Ergebnis bin ich zufrieden. Ich habe heute über 90 Minuten einen Abnutzungskampf gesehen», sagte Hecking, der zwei Jahre und 242 Tage zuvor letztmals als Trainer gearbeitet hatte. Damals hatte er mit dem Hamburger SV ebenfalls gegen den SV Sandhausen die Aufstiegsrelegation verspielt.
Der ächzend erarbeitete Zittersieg gegen Tomas Orals Mannschaft soll nun so etwas wie Aufbruchstimmung für den Kampf um den Klassenerhalt entfachen. Das fanden zumindest die Spieler. «Die Lage entspannt sich langsam wieder, wenn wir so auftreten wie heute. Wenn wir eklige Siege einfahren, dann wirds auch in den nächsten Wochen besser werden», meinte Mittelfeldspieler Lino Tempelmann nach dem Krampfsieg seiner Nürnberger.
«Wenn man da unten drinsteckt und es ist ein Sechs-Punkte-Spiel, dann ist es wichtig, die drei Punkte zu holen und nicht unbedingt schön zu spielen. Das haben wir heute gemacht», sagte Innenverteidiger Florian Hübner. «Von der mannschaftlichen Geschlossenheit her war es ein sehr, sehr guter Auftritt, jeder hat jedem geholfen.»
Hecking und sein Assistent Cristian Fiel nahmen auf zwei Stühlen Platz, die nahe an das Spiefeld gerückt waren. Hecking bekam einen roten, Fiel einen schwarzen. «Ich bin älter geworden, ich brauche kürzeren Abstand zum Platz», erläuterte der DFB-Pokalsieger von 2015 mit dem VfL Wolfsburg die Platzwahl amüsiert.
Die vor einer Woche noch unter Markus Weinzierl vom 1. FC Heidenheim abgeschossenen Franken zeigten in einem mutigen 4-3-3-System altbekannte Defizite im Spielaufbau. «Dass viel zu tun ist, wusste ich schon vor dem Spiel und weiß ich auch nach dem Spiel», sagte Hecking, der den «Club» schon einmal zwischen 2009 und 2012 erfolgreich betreut hatte. Entweder werde viel zu hektisch oder viel zu schleppend aus der Defensive heraus gespielt. «Wir müssen hinten mutiger werden, wir müssen entscheidungsfreudiger werden. Wenn wir immer nur einen Sicherheitsball spielen, wirds schwierig.»
Immerhin ließ aber die Abwehr keinen Gegentreffer zu. Kwadwo Duah erlöste dann Hecking und das Frankenland mit einem selbst verwandelten Foulelfmeter in der 86. Minute. «Die Erfahrung von Dieter Hecking tut uns unglaublich gut. Dazu haben wir mit Cristian Fiel jemanden, bei dem es ein Wahnsinn ist, wie er Fußball denkt und lebt. Das ist eine starke Kombination», meinte Mittelfeldspieler Johannes Geis. «Dieter Hecking hat mit seiner Erfahrung definitiv den Druck von uns genommen.»
So kurios wie Heckings Startgegner war, so kurios geht es für den 58-Jährigen weiter. Am kommenden Samstag gastieren die Nürnberger beim Hamburger SV, wo der erfahrene Coach die Saison 2019/2020 verbrachte, ehe er Funktionär beim «Club» wurde und seine Karriere an der Seitenlinie eigentlich für beendet erklärt hatte.